Müller erkannte, dass sich Motorrad- Rahmen haben sich seit der Zeit, als die Bikes das Laufen lernten, im Prinzip kaum verändert hatten. Rohrgeflechte, egal mit welchem Profil bildeten (und bilden auch heute noch) meist noch das Rückgrat der Motorräder. Versuche, Alternativen zu schaffen, gab es zu jeder Zeit, doch die meisten Hersteller und Konstrukteure kehrten reumütig zum Althergebrachten zurück. Ein Wiener Filmschauspieler hatte dies ganz und gar nicht vor. Er baute ein Motorrad nach seinen eigenen, ganz speziellen Vorstellungen
Edelschrauber gibt es sicher in Österreich einige, doch Hermuth Müller war wohl auch unter den Begnadetsten eine Ausnahme. Der Wiener hat mit seinem Rennmotorrad im Alleingang eine Entwicklung geschaffen, an der normalerweise ein vielköpfiges Team jahrelang arbeitet. Hilfreich dabei waren jahrelange Erfahrungen aus dem Renn- Automobilbau, die nach Meinung des Autodidakten auch auf das Zweirad umzulegen sein sollten. Eine nicht ganz einfache Aufgabe, die der Wiener mit Bravour und jahrelanger Tüftelei löste.
Das Ergebnis war ein Motorrad mit Karosserie, der Ausdruck „Rahmen“ ist hier ganz und gar nicht angebracht. Der Müller Racer besitzt ein Fahrwerk aus Carbon in einer Honigwaben-(Honeycomb) Struktur, ähnlich den Monopostos aus der Formel 1. Der Tank ist in der Karosse integriert, das Motorrad wirkt extrem kompakt und irgendwie schwer. Der Eindruck täuscht, war doch der Müller Racer mit 101 kg zumindest vom Gewicht her in der Mitte der Neunziger Jahre durchaus konkurrenzfähig. Optisch wirkt er mit abgenommener Verkleidung wie von einem anderen Stern. Vor Allem die Gabel ist eine nähere Betrachtung wert. Es handelt sich um eine Parallelogramm-Gabel, ähnlich dem Hossak- Prinzip. Gefedert und gedämpft wird über ein Monofederbein. Je nach Einstellung kann ein Anti- Dive Effekt erzielt werden, zudem ist mittels Variation der Länge der Dreieckslenker und einem Exzenter in der Achsaufnahme Lenkkopfwinkel, Nachlauf und Radstand in bestimmten Grenzen unabhängig voneinander variierbar. Eine komplette Entkopplung der beim Bremsen auftretenden Kräfte vom „Lenkkopf“ ist damit nicht verwirklicht, jedoch ist die Radführung aus Carbon extrem verwindungssteif. Der Lenkkopf ist mit dem „Rahmen“ verklebt und genietet, Werkstoffe aus der Raumfahrt machen es möglich. Interessant ist auch die (natürlich aus Carbon bestehende) Schwinge mit dem liegenden über ein Hebelumlenksystem auf Druck beanspruchten Federbein. Sie ist allerdings noch nicht die letzte Version, Müller arbeitete auch an einer Lösung mit einer ebenfalls aus Kohlefaser gefertigten Blattfeder.
Allen Unkenrufen zum Trotz bestand die Müllersche Konstruktion ihre Feuerprobe sehr schnell. Bestückt mit einem damals 3 Jahre alten Yamaha TZ 250 Motor überstand die Maschine 1995 6 Runden a`60 km auf der Isle of Man. Nur wer diesen Straßenkurs mit seinen Schlaglöchern und Sprüngen kennt, kann die Härte dieses Tests ermessen. Dipl. Ing. Martin Loicht, der ebenfalls kein Unbekannter in der österreichischen Schrauber-und Renn-Szene war und später beim Training auf der „Insel“ mit einem Elektro-Motorrad tödlich verunglückte, konnte das Fahrwerk gut abstimmen und schaffte trotz unterlegener Motorisierung die Qualifikation, verletzte sich aber leider beim Training mit einem Gespann sehr schwer, sodass er das Rennen selbst nicht mehr fahren konnte.
Die Idee, ein derartiges Projekt in die Tat umzusetzen, kam Müller nach eigenen Aussagen schon vor unendlich lange vor seiner Verwirklichung. Er, der eigentlich das Handwerk nie von der Pike auf gelernt hatte, war schon sehr früh vom Bazillus des Rennsports besessen. Im zarten Alter von 19 lernte er auf einer englischen Rennfahrerschule, die er sich mit der Wartung der Schulrenner finanzierte, den Rindt Intimus und Fahrerkollegen Kurt Bardi- Barry kennen. Der erkannte die Talente des jungen Müller recht schnell und schon bald schwang er die Schraubenschlüssel für das Formel Junior Team von Jochen Rindt.
Einsätze bei verschiedenen Teams in Österreich und Deutschland, später im Indy Car Zirkus in den USA folgten. Anfang der 70er Jahre wurde zusammen mit einem Partner In Rosenheim unter dem Namen KMW ein eigener 2 Sitziger Rennwagen für die Interserie gebaut. Schon damals konstruierte Müller ein Rennmotorrad mit Alu-Karosse, genietet und mit einem Kawasaki 3 Zylinder Motor bestückt. Dazwischen kehrte der Wiener wieder zur Schauspielerei zurück und mimte für die Serie „Tatort“ diverse Bösewichter. Erst 1984 wurde wieder ein Motorrad auf die Räder gestellt, wieder mit einem Fahrwerk aus genieteten Alu- Blechen. Bestückt mit einem damals schon veralteten 250er Beko-Motor (mit dem auch der aus anderen Gründen recht populäre Tibor Foco recht schnell unterwegs war) kam diese Müller- Kreation nie richtig zum Laufen, lieferte jedoch wertvolle Erkenntnisse zum aktuellen Carbon-Projekt, dem schon damals erklärten Ziel. „Der Schauspieler“ wie er in Insiderkreisen heute noch genannt wird, plante die endgültige Verwirklichung seines Traumes mit professioneller Akribie. So wurde eine Studienreise nach England unternommen, wo in den Werken der großen Rennställe wie Mc Laren, Mc Namara usw. alte Beziehungen aus der Indy Zeit aufgefrischt und Know How gesammelt wurde. Wieder heimgekehrt, wurde mangels Alternativen im Keller eines Zinshauses in der Wiener Schlachthausgasse ein sogenannter Autoklav gebaut, ein Brennofen zum Aushärten des Carbon- Materials. Dieser Ofen ist sehr kompliziert im Aufbau und in der Bedienung, er muss gradgenau bestimmte Zyklen mit verschiedensten Temperaturen einhalten können. Nur so kann die gewünschte Festigkeit erreicht werden. Dann folgten 1 1/2 Jahre mit aufwendigen Versuchen, in denen verschiedenen Formen von Rahmenteilen, Schwinge und Gabeln „gebacken“ und mit ebenfalls selbstgebauten Vorrichtungen meist bis zum Bruch belastet wurden.
Der Bau des Motorrades selbst war nach Angaben des bescheidenen Konstrukteurs eigentlich nur ein kleiner Teil des Ganzen, auch über die Kosten des ganzen Projektes schweigt er sich immer noch aus. Die Andeutung von Freunden, dass er damals anstatt des heftig korrodierenden Alt Alfas ein neues großes Modell mit einem Stern oder einer Niere am Kühler hätte fahren können, war vermutlich arg untertrieben. Müller, der später auch Flugsimulatoren in Klein-Serie für eine kanadische Firma baute, hatte indes schon wieder neue Ideen. So experimentierte er an einer speziellen Schwinge mit einer Blattfeder, natürlich aus Carbon. Bis heute tüftelt der heute 81Jährige, an diversen Lösungen, natürlich für den Rennsport, im festen Glauben, die ideale Lösung zu finden….
Franz Farkas