Amerikanische Soldaten, die gerade aus dem 2. Weltkrieg zurückgekehrt waren, kauften sich oft große Harleys aus den Beständen der Armee, die damals äußerst günstig angeboten wurden, und modifizierten diese um sowohl die Optik als auch die Performance zu optimieren. Dies wurde vorrangig dadurch erreicht, dass alle Teile die groß, schwer und ausladend waren entweder durch kleinere, leichtere Teile zu ersetzen, oder, sofern sie nicht unbedingt notwendig waren, einfach komplett zu entfernen. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Softail Slim S so etwas wie die ultimative Hommage an die ersten Chopper, auf denen die jungen, wilden Burschen der ersten, meist gefürchteten Motorradclubs der USA die Landstraßen unsicher machten.
Natürlich ist die Softtail S kein “echtes” Millitärmodell, sondern ein hochwertiges und auch nicht gerade günstiges Serienmodell, mit dem Erscheinungsbild eines liebevoll aufgebauten Umbaus. Ähnlich wie bei den ersten Choppern wird man Teile, welche nicht notwendig sind vergeblich suchen. Das Prinzip des Minimalismus geht sogar soweit, dass man einem Soziussitzplatz vergeblich suchte, die Option dafür gibt es allerdings. Auch angeberisches Chrom findet man nicht, Tank und Kotflügel sind in mattem olivgrün, der Rest in dezentem Schwarz gehalten. Damit liegt der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit beim Herzstück, dem mächtigem 110 Cubic Inch (oder 1800 Kubikzentimeter) V-Zwei Motor, und der hat diese zweifelsohne verdient.
Nicht nur dass er wundervoll beruhigend vor sich hin blubbert, er schöpft, dank einem maximalen Drehmoment von knapp 150 Newtonmetern bei 3500 Umdrehungen, aus einem enormen Reservoir an Kraft. Schon bei niedrigsten Drehzahlen schiebt der luftgekühlte Zweizylinder die 309 Kilogramm Lebendgewicht der Softail Slim (das Slim dürfte eher auf den vergleichsweise schmalen Hinterreifen bezogen sein als auf die allgemeine Erscheinung) vehement voran.
Dank der für Chopper- Verhältnisse sehr vernünftigen Bereifung ist das Verhalten in Kurven überraschend neutral. Natürlich darf man sich bei diesem Radstand und Gewicht keinen allzu hohen Grad an Wendigkeit erhoffen, aber es überrascht immer wieder wie “leichtfüßig” sich so ein Gerät, trotz der massiven Optik durch die Radien dirigieren lässt. Wer keine Lowrider gewöhnt ist, wird zwar überrascht sein wie schnell man ein metallisches Kratzen aus Richtung der Trittbretter vernimmt, aber das bewahrt einen immerhin davor, allzu übermütig zu werden.
Wie man beim Wort Lowrider schon vermuten kann, sitzt man auf der Softtail sehr nahe zum Boden, auf einem sehr schönen Leder- Einzelsitz. Leider sind die Nähte, zumindest bei unserem Testmodell, nicht ausreichend abgedichtet, was zur Folge hat, dass man nach einem Regentag auf einer scheinbar trockenen Sitzbank Platz nimmt und dann erst wieder einen nassen Hintern hat, und das ist bei einem Preis von über 24.000 Euro schon etwas ärgerlich. Ansonsten kann man allerdings keinerlei Verarbeitungsschwachstellen beklagen, mit der Slim macht nicht nur das Fahren viel Spaß, man kann auch minutenlang danebenstehen und sie einfach nur bewundern. Oder bewundert werden. An der Ampel, vorm Cafe, auf dem Parkplatz in der Arbeit, Motorräder wie sie sprechen auch Menschen an die sonst nichts mit dem Thema Zweirad anfangen können. Überdies fühlt man sich unheimlich cool, sobald man auf ihr Platz nimmt, so ähnlich wie man sich sofort cooler fühlt wenn man eine lässige Lederjacke überstreift. Apropos, diese ist bei der Softail Slim S übrigens Pflicht.