Für uns, und offensichtlich viele andere Motorradfans kommt die neue Sportster 72 schon sehr nahe an ein Idealbild heran. Es war sozusagen der erste Gedanke: Genau so muss das aussehen. Vermutlich hat das viel mit dem Film Easy Rider zu tun, ein Film der so ikonisch ist das selbst die meisten Menschen die nicht einmal eine Sekunde davon gesehen haben, mit dem Titel zumindest ein bissl was anfangen können. Nun kann man natürlich einwenden, dass die 72 nicht wirklich genauso aussieht wie die Bikes die im Film verwendet wurden, trotzdem kommt man nicht umhin sich ein bisschen wie Peter Fonda zu fühlen, wenn man hinter dem hoch aufragendem Lenker der Sportster Platz nimmt, auch ohne Amerika Flagge auf dem Tank.
Mit ihrem mächtigen luftgekühlten 1200 Kubik Motor mit Chrom- Auspuff, der langen Gabel und dem schmalen 21 Zoll Vorderrad sieht sie aus als käme sie geradewegs aus den 70er Jahren angerauscht, als man sich vor vielen der Männer die so etwas gefahren sind wirklich noch fürchten durfte, vermutlich einer der Gründe warum Peter Fonda (alias Captain America) und Dennis Hopper (alias Billy the Kid) auf ihrer Fahrt nach New Orleans oft Probleme hatten ein Zimmer zu finden. Bei genauerer Betrachtung fallen einem dann aber doch die Zeichen der Zeit auf. So benötigt man bei der 72, wie auch bei vielen anderen Modellen keinen Schlüssel mehr, ein Chip im Schlüsselanhänger in der Tasche reicht aus und man erweckt den 1200er Twin per Knopfdruck zum Leben.
Die Sitzposition sieht nicht nur sehr lässig aus sie ist auch überraschend bequem, was zum Teil sicher an der überarbeiteten Federung liegt. Gerade die Sportster Modelle hatten, auch durch ihre niedrige Straßenlage bedingt, lange nicht den Ruf über viel Fahrkomfort zu verfügen. Ständig durchschlagende Federbeine gehören hier endlich der Vergangenheit an, allerdings muss man dazusagen. dass unser Testmodell keinen Soziusplatz aufwies, wodurch wir nur von Ein-Personenbetrieb berichten können.
Überraschend großzügig fällt auch die Schräglagenfreiheit aus, die wohl vor allem dem großen Vorderrad und der dadurch notwentigen langen Gabel zu verdanken ist. Wo ihr Schwestermodell die 48 (mit 17 Zoll Vorderrad) schon lange mit der Fußraste den Asphalt bearbeitet kann man mit der 72 noch ein gewaltiges Stück mehr umlegen. Dies stellt nicht nur einen Vorteil im Kampf im Winkelwerk mit sportlicheren Gegnern dar, es erspart einem auch das nervige Gekratze an jeder Straßenkreuzung. Der Motor sieht auf dem Papier mit seinen nicht einmal 70 PS nicht sehr stark aus, aber wer sich auskennt weiß, dass ein anderer Wert bei einer Harley viel wichtiger ist. Und was das Drehmoment angeht lässt sich die 72 nicht lange bitten, bei 3.500 Umdrehungen stehen fast 100 Nm pure Milwaukee- Power zur Verfügung.
Das erstaunlichste an der 72 ist unserer Meinung nach aber die Wirkung die sie auf Menschen in ihrer Umgebung hat. Wo man hinkommt wird man, oder besser gesagt sie, bewundert. Und zwar vor allem auch bei Menschen die mit Motorrädern eigentlich gar nichts am Hut haben. Man wird ebenso von alten Männern auf Tankstellen angesprochen wie von jungen Frauen vor der Arbeitstelle, einmal konnten wir sogar ein paar junge Frauen beobachten die sich gegenseitig vor dem Prachtstück mit dem feschen Glitzerlack fotografieren ließen. Wenn das mal kein Verkaufsargument ist.