Der Radsportler und Herausgeber der „Radfahrchronik“ Heinrich Hildebrand fasste nach einem eher missglückten Versuch, zusammen mit seinem Bruder Wilhelm ein dampfgetriebenes Zweirad zu bauen, bereits 1892 den Entschluss, es einmal mit einem Benzinmotor nach der Vorlage von Gottlieb Daimler zu versuchen. Dazu beauftragte er den Konstrukteur Alois Wolfmüller, der zusammen mit seinem Freund und Ingenieur Hans Geisenhof die Hillebrand und Wolfmüller  entwickelte. Da Dinge wie Ketten, eine elektrische Zündung oder ein herkömmlicher Vergaser zu dieser Zeit noch nicht erfunden waren, musste man andere Wege gehen. So wurde nach erfolglosen Versuchen mit einem Zweitakter ein wassergekühlter Viertakt Zweizylinder konstruiert, der unten quasi offen war. Die Pleuel arbeiteten direkt auf das Hinterrad, die Achse bildete die Kurbelwelle. Da der Motor keinerlei Schwungmasse besaß, mussten die Kolben von zwei Gummibändern, die sich beim Arbeitstakt spannten, wieder zurückgezogen werden. Die berühmte und oft zitierte „Kolbenrückzugsfeder“ war erfunden! Die Zündung erfolgte über ein Glührohr, das in eine Vorkammer des Brennraumes ragte und vor Antritt der Fahrt mit einem Fidibus entzündet werden musste. Dazu kam ein sogenannter Oberflächenvergaser, bei dem einfach Benzin auf ein gespanntes Leinen tropfte und so zu brennfähigem Gas zerstäubte. Zeitgenössischen Schilderungen zufolge hatte diese Konstruktion oft einen satten Brand der ganzen Maschine zufolge.

 

 

So soll der französische Importeur bei einer Vorführung gleich drei Modelle abgefackelt haben, womit sich die weiteren Geschäftsbeziehungen mit Hildebrand erledigt hatten. Andererseits blies der Wind oft die Flamme am Glührohr aus. Immerhin leistete der 1500 cm³ Motor 2,5 PS bei sagenhaften 250 U/min und galt damals als „schnelllaufender Gasmotor“. Die Ventilbetätigung war recht kompliziert. Während das Einlassventil als „Schnüffelventil“ ausgelegt war, bei dem die Öffnung durch Unterdruck im Brennraum geschah, wurde das Auslassventil über eine komplizierte Mechanik bedient. Kupplung gab es keine, auch ein Getriebe fehlte natürlich. Das kleine Hinterrad ergab sich aus der notwendigen Übersetzung, da das Motorrad mit dem vorerst eingesetzten 19 Zöller (wie vorne) einfach zu lang übersetzt war. Das Vollscheibenrad wurde deswegen benutzt, da sich die Speichen der schieren Kraft nicht gewachsen zeigten. Über dem Hinterrad befand sich der Wasserkühler für die Thermosyphonkühlung.  Während vorne eine Klotzbremse wie beim Fahrrad für Verzögerung sorgte, war die Fußbremse ein Sporn, der sich bei Betätigung unter dem Motor direkt in den Boden grub. Der Rahen war aus Rohren gemufft und gelötet. In den Rohren befand sich der Ölinhalt der Verlustschmierung, bei der das Öl nach „Gebrauch“ einfach auf die Straße tropfte. Laut zeitgenössischen Berichten lief das Ur-Bike etwa 30-40 km/h, mit einer Tankfüllung von 6,5 Litern kam man etwa 20 Kilometer weit. Andere Berichte äußerten sich eher negativ. So schieb etwa ein Journalist, dass die meiste Kraft des Motors wohl in den Rückzuggummis verpuffen würde.


Ende 1893 war der erste Prototyp fertig und Anfang 1894 wurden die ersten Probefahrten absolviert. Sie waren offensichtlich so erfolgreich, dass sich der Auftraggeber Hildebrand dazu entschloss, eine Serienfertigung zu wagen. Bereits im März 1894 wurde in München eine Fabrik eröffnet. Bis zu 900 Leute sollen in der Glanzzeit in fünf Werkstätten beschäftigt gewesen sein, bis zu 10 Motorräder verließen das Werk pro Tag. Allerdings endete die  Produktion schon im Oktober des folgenden Jahres und Hildebrand musste Konkurs anmelden. Die technischen Unzulänglichkeiten waren wohl ein Grund dafür, auch war das Motorrad zu dieser Zeit eher nur ein Spielzeug für betuchte Zeitgenossen. Immerhin wurden mindestens 300 bis 400 Exemplare gefertigt, andere Quellen sprechen gar von über 900.


Heute fertigt Mike Kron aus Krautheim- Klepsau (BRD) die Hildebrand und Wolfmüller mit den Fertigungsmethoden von damals nach, er hat bereits eine Kleinserie von 10 Stück aufgelegt. Wer sich also den Traum vom Ur- Motorrad erfüllen möchte, dem kann geholfen werden….

Für Freaks und zum Zergehenlassen auf der Zunge:

Technische Daten Hillebrand und Wolfmüller:

Produktion 1894-95

Motor: Parallel-Zweizylinder Viertakt, Wassergekühlt, Verlustschmierung, Oberflächenvergaser, Glührohrzündung
BohrungxHub: 90×117, später 120 mm
Hubraum: 1488, später 1530 cm³
Verdichtung: 3:1
Leistung: 2,5 PS bei 240 U/min
Getriebe: keines, Direktantrieb über als Schubstangen ausgebildete Pleuel
Rahmen: Rohrrahmen gelötet und gemufft, Ölbehälter in den Rahmenrohren
Bremsen: vorne Klotzbremse hinten Bodenbremse mit Sporn, später keine
Radstand:  1.300mm
Leergewicht: 84 kg
Höchstgeschwindigkeit: 40 km/h, Rekord 72 km/h

 

 

FahrzeugeMotorradOldtimerHildebrand und Wolfmüller – Die Kolbenrückzugsfeder gab es wirklich!