“Wir beehren uns, unseren zahlreichen, geneigten Lesern die wichtige Ankündigung zu machen, dass Anfang kommenden Jahres ein neues italienisches Motorrad auf unserem Markt erscheinen wird” Ungefähr so stand es Ende 1920 in einer italienischen Fachzeitschrift. Eine derartige Ankündigung war damals nichts wirklich neues, nach dem Ende des zweiten Weltkriegs befand sich die Welt und die Wirtschaft im Aufbruch und viel versuchten ihr Glück auch in der noch jungen Fahrzeugindustrie. Auch drei junge Männer, die sich im Krieg bei der italienischen Luftwaffe kennen gelernt hatten, dachten ähnlich. Carlo Guzzi, ein begnadeter Techniker aus Mandello del Lario, sollte für das Motorrad sorgen, Giorgio Parodi, der aus einer Genueser Reederfamilie stammte, für die Finanzen und der Rennfahrer Giovannni Ravelli für die Werbung im Motorsport. Leider wollte es das Schicksal so, dass Ravelli in den letzten Wochen des ersten Weltkrieges noch umkam, doch die beiden anderen ließen sich aber nicht beirren. Parodi bat seinen Vater um Geld für das Projekt, der stimmte angeblich eher widerwillig zu.  Am 15. März 1921 war es soweit. In Genua, in der Kanzlei des Notars Paolo Cassanello wurde die „Moto Guzzi Aktiengesellschaft“ gegründet. Als Unternehmensziel wurde „Herstellung und Verkauf von Motorrädern und jede zur Metall- und Maschinenbauindustrie gehörige oder damit verbundene Tätigkeit“ angegeben. Gesellschafter des Unternehmens sind Emanuele Vittorio Parodi, ein bekannter Reeder aus Genua, sein Sohn Giorgio und Carlo Guzzi. Zur Erinnerung an Giovanni Ravelli wurde der Adler mit den ausgebreiteten Schwingen im Moto Guzzi Logo aufgenommen. Guzzi hatte schon zur Gründung einen Prototyp bereit. Ihm schwebte eine robuste Halblitermaschine vor. Während der erste Prototyp ein Vierventiler (!) mit einer oben liegenden von einer Königswelle angetriebenen Nockenwelle und Doppelzündung ist, wurden bei der am 15. März präsentierten Maschine nur zwei Ventile und eine unten liegende Nockenwelle verbaut. Trotzdem war die Konstruktion des ersten “Normale” genannten Modells mit liegendem Einzylindermotor für die damalige Zeit richtungsweisend. Dieses Zylinder-Layout wurde übrigens bis in die späten Siebziger Jahre beibehalten. 8 PS sorgten für eine Höchstgeschwindigkeit von knapp 100km/h. Durchaus modern auch der verwindungssteife Doppelschleifenrohrrahmen, gebremst wurde allerdings nur hinten. Bereits im gleichen Jahr nahm man an Rennen teil und der erste Sieg auf der berüchtigten Targa Florio konnte eingefahren werden. Er ist der Beginn einer unvergleichlichen Reihe von Siegen, die bis in die späten Fünfziger und vereinzelt darüber hinaus andauern sollte. Nun nahmen die Bestellungen täglich zu und erforderten eine Produktion im großen Maßstab. Das erste Werk wurde an der Stelle errichtet, wo es heute noch steht, auf einer Fläche von 300m².

1923 wurde die “Normale” durch die “Sport” ersetzt, die viele Verbesserungen bringt. Aus dem ersten Prototyp entsteht die “Quattro Valvole” für den Renneinsatz. Immerhin 22 PS bei 5.500 U/min leistet der Einzylinder und war damit für viele Siege gut. 1928 wagte sich Carlo Guzzi und sein Bruder Guiseppe an ein Fahrwerk mit Hinterradfederung. Eine verwindungssteife Schwinge drückte dabei auf vier in einem Blechgehäuse geführte Schraubenfedern. Die Konstruktion erwies sich in Zeiten, in denen die meisten Konstrukteure dachten, ein gefedertes Hinterrad wäre lebensgefährlich, als zuverlässig. Guiseppe Guzzi fuhr mit der G.T genannten Maschine problemlos von Norditalien bis ans Nordcap und wieder zurück. Daraufhin wurde die G.T zur “Norge”, eine Bezeichnung, die das aktuelle Touren- und Behördenmodell nun wieder führt. Verkauft wurden von der G.T und dem Nachfolgemodell G.T 16 jedoch nur wenige Stück, da sich das Gerücht von der Gefährlichkeit hartnäckig hielt.  

Carlo Guzzi konstruierte bereits Anfangs der Dreißiger Jahre  einen Vierzylinder Reihenmotor mit Kompressor, der 45 PS leistete.  Sie wurde jedoch kaum eingesetzt, weil sie die Erwartungen hinsichtlich ihrer Zuverlässigkeit nicht erfüllen konnte. Für den Serienbau entwickelte man zu dieser Zeit einen bildschönen Dreizylinder, der mit 25 PS ebenfalls gut im Futter stand, aber vor allem für den heimischen Markt einfach zu teuer war. Im Rennsport war damals der schon sieben Jahre alte Einzylinder TT 250 unschlagbar. Da hatte Carlo Guzzi den Einfall, zwei derartige Triebwerke zu einem Halbliter Aggregat zusammenzufügen. Das Lay Out des Motors war allerdings originell. Um Platz zu sparen und eine gute Kühlung zu erreichen, standen die Zylinder in einem Winkel von 120 Grad! Diese Rennmaschine blieb bis 1951 im Einsatz und wurde zu einem der erfolgreichsten Rennmaschinen in der Geschichte der Firma überhaupt. 1935 konnte man mit einer hinterradgefederten Bicylindri die Senior TT auf der Isle of Man gewinnen.

Guzzi war mittlerweile zum größte italienischen Motorradhersteller geworden und spürte auch die weltweit um sich greifende Rezession. Um gegenzusteuern, musste ein kleines kostengünstiges Modell her. Es hieß P 175 und war schnell eines der erfolgreichsten Modelle in der Palette. Auch eine 250er Version kam bald auf den Markt, sie war sowohl mit Starrrahmen als auch mit Hinterradfederung erhältlich. Diese Typenreihe wurde ständig weiter entwickelt und bekam 1939 ein Vierganggetriebe und den Namen Airone. Sie war eines der populärsten Motorräder in Italien und blieb über 15 Jahre hindurch im Programm.

Moto Guzzi hatte sich auch immer mit Behörden- und Militärversionen beschäftigt, etwa auf der Basis der “Norge”.  Mit dem offiziell als G.T 17 bezeichneten Motorrad schuf man das erste Modell nur für die Armee. Wieder kam der liegende Einzylinder zum Einsatz. Später folgte dann die G.T 20 und knapp vor dem zweiten Weltkrieg die “Alce”, also der Elch. Sie war weiterhin mit dem robusten Einzylinder mit offener Schwungscheibe ausgestattet, hatte viel Bodenfreiheit und natürlich die Hinterradfederung der “Norge”.  Die Räder waren leicht demontierbar und gegeneinander austauschbar. Der “Elch” wurde auch als Gespannmaschine eingesetzt. Als einer der ersten Gespanne überhaupt war hier auch das Rad des Seitenwagens gefedert. Zusätzlich beschäftigte man sich auch mit Dreirädern, auch mit Kettenantrieb, kam aber über das Prototypenstadium nicht hinaus.

 

 

Nach dem Krieg war es vorerst einmal Schluss mit den aufwendigen Rennmotorrädern, auch großvolumige Serienmaschinen waren nicht gefragt. Nach einigen Versuchen mit einem Fahrrad-Hilfsmotor beschäftigte man sich mit der “Guzzino” 65 mit dem ersten Zweitakter der Firmengeschichte. Er wurde sagenhafte 50.000 mal verkauft und als Moto Guzzi Cardellino weiterentwickelt. Neben der schon erwähnten Airone mit 250 cm³ kam 1949 mit der Astore wieder ein Halblitermodell auf den Markt, mit dem typischen liegenden Einzylinder. Beide Modelle wurden bald mit einer Telegabel versehen.

Um 1950 kam mit der “Galetto” dem “Hähnchen” der erste Großradroller der Geschichte ins Programm. Einarmschwinge hinten, freier Durchstieg, austauschbare Räder und ein vor der Schürze montiertes Reserverad waren ihrer Zeit weit voraus. Vor allem auf den schlechten Wegen außerhalb von urbanen Gebieten war das “Hähnchen” den damals schon populären Vespas weit voraus.

Zu dieser Zeit wurde im Werk auch ein Windkanal installiert, der auch heute noch in Betrieb genommen werden könnte. Hier beschäftigte man sich mit Verkleidungen, lange vor der Konkurrenz aus Deutschland und England. Auch der Rennsport kam wieder in die Gänge, allerdings waren Kompressoren nun verboten und auch für viele die Mehrzylinder aus den Vorkriegstagen zu teuer. Schon vor dem Krieg gab es bei Guzzi mit der Condor 500 cc eine Maschine für sogenannte Serienrennen. Nach dem Krieg wurde daraus die “Dondolino” der “Schaukelstuhl”, wie er wegen der mangelnden Straßenlage gerne genannt wurde. Viele Privatfahrer gewannen damit Rennen und auch einige Meisterschaften. Auf der Basis der Dondolino entstand die Gambalunga (Langes Bein), ein Langhuber mit immerhin 35 PS. Das war die Endstation und die höchste Entwicklungsstufe der Einzylinder. Auch eine Version mit 250 cm³ und dem Namen Gambalunghino (kleines langes Bein) fuhr noch viele Erfolge ein. Für die Werkseinsätze konstruierte der Römer Carlo Giannini einen längs eingebauten Vierzylinder mit Gitterrohrrahmen und Kardanantrieb, der 54 PS leistete.  Das Motorrad fuhr jedoch nur einen einzigen nennenswerten Erfolg am Hockenheimring ein, worauf es bald wieder in der Versenkung verschwand. Was dann folgte, war schlicht und einfach eine Sensation. Giulio Cesare Carcano entwickelte einen V8, der mit acht Vergasern ausgestattet, bis zu 80 PS leistete und die Konkurrenz damit um Längen übertraf. Allerdings war das Motorrad schwer zu beherrschen, da die Fahrwerks- und Reifentechnik diesen Leistungen nicht gewachsen war. Zudem zog sich Moto Guzzi Ende 1957 aus dem werksseitigen Rennsport zurück.

Die damals arbeitslos gewordene Rennabteilung entwickelte einen V2 Zylinder, der eigentlich für den Einbau in den damals auf den Markt gekommenen Fiat 500 vorgesehen war. Dieses Konzept wurde auf Grund einer Behördenausschreibung anfangs der Sechziger wieder reaktiviert. Vor allem die Polizei, die mit der Falcone durchaus zufrieden war, wollte ein stärkeres Modell. Nach einigen Prototypen wurde 1966 die V7 vorgestellt, vorerst mit 750 cm³ und 40 PS. Das Motorrad bei den Behörden durchaus an, die kalifornische Polizei orderte etliche 100 Stück. Dieses nach den Vorgaben der amerikanischen Cops gebaute Modell war ein voller Erfolg, sodass bald eine Zivilversion folgte. Sie wurde “California” getauft, ihre Merkmale waren ein kleinerer Tank, ein extra gefederter Sattel und Trittbretter. Damit wurde die Cruiser Baureihe von Guzzi aus der Taufe gehoben, bis 2020 war eine California erhältlich. Mit der V7 kehrte Guzzi auch wieder in den Rennsport zurück, allerdings nie mehr so aufwendig wie in den Dreißigern  und Fünfzigern. 1971 kam die V7 Sport mit 52 PS, die neben der V7 auch heute als Retro-Modell zu haben ist. 1964 starb Carlo Guzzi, der schon seit den Fünfzigern aus der Firma ausgestiegen war. Bereits 1955 war Giorgio Parodi gestorben.

1973 kaufte der de Tomaso Konzern das Unternehmen, der Argentinier übernahm selbst die Entwicklung. In diese Zeit fällt auch das erste Integral-Bremssystem. De Tomaso versuchte, die ebenfalls in seinem Besitz befindliche Firma Benelli mit Guzzi in einer einheitlichen Modellpolitik zu vereinen. Vierzylinder und Zweitakter von Benelli wurden unter dem Guzzi Adler verkauft, fanden aber bei den Fans kaum Anklang. Auch die “kleinen” Motoren mit 350, 500 und 650 cm³ waren zumindest hierzulande nicht gerade beliebt. Zudem brachte man mit der V1000 Convert ein Motorrad mit einer Art Halbautomatik, das ganz auf die Bedürfnisse der  amerikanischen Cops zugeschnitten war. Auch das sogenannte Integral-Bremssystem wurde entwickelt, bei dem bei Betätigung der Hinterradbremse auch eine Scheibe im Vorderrad mitverzögerte. 1975 wurde die sportliche Le Mans vorgestellt, die sich zu einem Klassiker entwickelte und von der es bis Ende der 80er vier Versionen gegeben hat. Sie wurde von der eher klassischen 1000 S abgelöst. Dazwischen kam die Umrüstung einiger Modelle (und später alle) auf elektronische Einspritzung.  In den frühen Neunzigern kam mit der exklusiven Daytona erstmals ein Vierventiler ins Programm.

1994 wurde mit dem Zweiventiler eine sportliche Guzzi fürs “normale” Volk nachgeschoben, 1996 mit der V10 Centauro ein modern gestyltes naked Bike. Bereits 1992 gab es mit der Quota eine Konkurrenz zur BMW GS.

Im Jahr 2000 kaufte Ivano Beggio (Aprilia) Moto Guzzi zusammen mit Laverda, und rettete die Firma vor dem Aus. 2004 wurde die komplette  Aprilia Gruppe von Piaggio übernommen. 2005 wurde Daniele Bandiera mit der Umstrukturierung und dem Neustart von Moto Guzzi beauftragt. danach ging es Schlag auf Schlag. Im März 2005 wurde mit der Breva 1100 nach langem wieder eine neue Guzzi vorgestellt, dann folgten im September die Griso 1100 und 2006 die Breva und Griso mit dem kleinen 850 cm³ Motor. 2006 wurde ebenfalls die neue Norge 1200 GT präsentiert, nach langem wieder ein Tourer der Marke. Auch dieses Motorrad wurde von der Berliner Polizei ab 2009 eingesetzt, was umso erstaunlicher ist, als gerade Konkurrent BMW seine Motorräder bis heute in Berlin Spandau fertigt. 2007 kam mit der Stelvio eine neue Groß-Enduro und die Bellagio, ein moderner Cruiser. Ebenfalls 2007 kam die California Vintage und die Stelvio 1200, die 2009 mit der Stelvio NTX mit Vierventiler und ABS ausgestattet wurde. Für die Classic Fans kam mit der V7 typisches Retro- Bike, das 2009 von der V7 Cafe ergänzt wurde.

In den nächsten Jahren kam mit dem neuen 1400erter Triebwerk die „große“ California, der bald auch eine nach amerikanischem Vorbild eine MGX 21 genannte  „Bagger“ (Koffer) Version zur Seite gestellt wurde. 2016 kam mit der V9 ein neues Custom Modell, ergänzt durch eine „Bobber“ Version, die es bis heute gibt. Mit der NTX 85 TT kommt ein Ersatz für die Stelvio, dieses Modell ist bis heute der Bestseller der Marke. 2021 bringt man nun eine Sonderserie namens Centenario auf den Markt. Sie besteht aus den Modellen V7, das komplett erneuert wurde, der V 85 TT, die nun mit mehr Drehmoment glänzt und der V9. Der Stil beziehungsweise die Lackierung sollen an die berühmte Otto Cilindri (Achtzylinder) aus dem Jahr 1955 erinnern. Die Modelle mit 14.00cm³ werden aus dem Programm genommen. Bei den Moto Guzzi World Days vom 8. bis 12. September könnte es nach Berichten aus gewöhnlich gut informierten Kreisen noch eine Überraschung geben.      

Ing. Franz Farkas                       

 

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