Wie die Geschichte vieler anderer Motorrradhersteller beginnt die von Aprilia in den Dreißiger Jahren mit einer kleinen Schmiede in einem kleinen Nest unweit von Venedig. Alberto Beggio träumte von der Herstellung von Fahrrädern, konnte sich diesen Traum allerdings erst nach dem zweiten Weltkrieg erfüllen. Seine Produkte benannte er nach berühmten Autos, das beste seiner Drahtesel benannte er nach einem begehrten Sportwagen dieser Zeit, dem Lancia Aprilia. Die Fahrrräder verkauften sich ausgezeichnet, Beggio konnte zufrieden sein. Doch sein ehrgeiziger Sohn Ivano, der auch heute noch die Geschicke der Firma leitet, wollte mehr. Er wollte Motorräder bauen und konnte seinen Willen 1964 durchsetzen. Schon in den 70ern war von Fahrrädern keine Rede mehr, Aprilia war zum Motorradhersteller geworden. Allerdings beschränkte sich das Programm vorerst auf die kleinen Hubraumklassen, wie bei vielen Herstellern wurden die Motoren zugekauft. Mit dem Rollerboom in den 80ern und 90ern wurde die Firme immer erfolgreicher, zwischendurch mußte sogar in Traglufthallen gearbeitet werden um die Nachfrage befriedigen zu können.

Diese Zeit ist natürlich längst vorbei. Heute verlassen 350.000 Roller und Motorräder im Jahr die Werkshallen, um sofort in der Logistikabteilung verpackt und binnen 24 Stunden verschickt zu werden. Auf 7 Bändern wird alle drei Minuten je ein Roller ausgespuckt, auf den vier Motorradproduktionsstraßen ist es alle fünf Minuten je ein Bike. Bewerkstelligt wird dies von etwa 2.000 Mitarbeitern in der Firma direkt, in den Zulieferbetrieben sind es noch einmal etwa 3.500 Leute die hauptsächlich für Aprilia werken. Einer dieser Zulieferer sitzt übrigens in Oberösterreich. Rotax fertigt fast ausschließlich die Motoren für die Aprilia Motorräder sowie für einige Roller Modelle, fast 1.000 Leute sind in Gunskirchen für die Italiener tätig.

Beggio blieb die ganze Zeit über der Methode treu, soviel als nur möglich auswärts fertigen zu lassen und im Werk selbst nur zu lackieren und zu montieren. Zwar ist die Qualitätssicherung bei dieser Methode wesentlich schwerer als bei größerer Fertigungstiefe im Werk selbst, aber offensichtlich hat man dies in Noale im Griff. Immerhin lief auch die BMW GS 650 hier jahrelang vom Band, sehr zu Zufriedenheit der eher auf Qualität bedachten Münchner. Auch heute noch werden die Motoren zwar im Werk entwickelt und verfeinert, die Produktion übernimmt aber ein Zulieferer. Für die Entwicklung selbst ist eine mit immerhin 50 Leuten besetztes „Engine Design und Experimental Department“ zuständig. Diese Truppe verfügt über 16 Motorenprüfstände, auf sieben davon können auch Rennmotoren getestet werden. Dazu kommen noch Vorrichtungen für Rüttel- und Schütteltests und Ähnliches. Jeder Roller wird vor Serienbeginn in einer Fahrsimulation 15.000 Kilometer über einen vorgegeben Kurs gejagt, jedes Motorrad muß diese Tortur über 30.000 km bestehen. Verschiedenste Straßenbeläge, Fahrzustände und Lastwechsel können hier simuliert werden. Daneben werden auch Anbauteile wie Gabeln, Kunststoffteile und Koffer werden harten Tests unterzogen.

Doch das ist noch nicht alles. Auch in Sachen Marketing ist man ganz vorne mit dabei, mit einem perfekt gestylten Internet-Auftritt inklusive Verkauf und WAP- Seite. Aprilia unterhält wohl auch die größte Rennabteilung aller europäischen Motorradwerke, 120 Mitarbeiter sind hier tätig. Immerhin sind die Venezianer im GP Sport in der 125er und 250er Klasse stark vertreten, das 500 ccm GP Projekt wurde zugunsten des Einsatzes in der Superbike WM gestrichen. 6 Millionnen Jahresabudget, das teilweise auch von Sponsoren abgedeckt wird erlaubt einen beträchtlichen Aufwand, und der wird auch getrieben. Daneben arbeitet man dem Vernehmen nach schon an einem Motor für die 2002 kommende GP 1 Klasse, bei der auch Viertakter mit bis zu 1.000 ccm in der 500erter Klasse starten können. Die Rede ist von einem Fünfzylinder wie ihn auch Honda baut, doch bisher ist alles Top Secret. Nicht so Geheim ist die Tatsache, daß Aprilia im letzten Jahre neben Moto Guzzi mit Laverda eine weitere Traditionsfirma gekauft hat. Während man bei Guzzi bereits der V11 Sport die Fahrwerksprobleme ausgetrieben hat und ganz in der Tradition der alten Marke weiterarbeiten will, bringt man unter dem Label Laverda vorerst nur einen in Taiwan gefertigten Roller auf den heimischen (italienischen) Markt. Res ist aber ein offenes Geheimnis, daß die Aprilia Techniker schon fieberhaft an den Motoren für eine sportliche Modellreihe arbeiten. Damit könnte es Ivano Beggio wirklich gelingen, zum größten europäischen Motorradhersteller aufzusteigen. Er und seine Leute arbeiten offensichtlich hart daran.

FahrzeugeMotorradApriliaWerksbesuch Aprilia – Auf dem Weg zur Motorrad-Großmacht